Features und Innovationen

Auslagerwege um 20-25 % reduzieren und Effizienz durch intelligente Algorithmen optimieren.

Intralogistik 4.0: Wie stark lässt sich die Effizienz mit Smart Devices, Automatisierung und Data Science steigern?

Dieser Frage ist Rebecca auf den Grund gegangen. Sie studierte Wirtschaftsingenieurwesen und schrieb bei uns ihre Bachelorarbeit zum Thema:

Beurteilung der Effizienzsteigerung durch die Implementierung von Smart Devices, Automatisierung und Data Science in unsere Lagerverwaltungssoftware (LVS) SuPCIS-L8 bei der Kommissionierung.

Kürzere Produktlebenszyklen und steigende Variantenvielfalt führen zu andauernden Veränderungen im Produktportfolio. Die einst effiziente Lagerbelegung bekommt dann schnell Risse. Das bedeutet: flächendeckende Umlagerungen.

In diesem Beitrag geht es um die Ergebnisse mit Data Science im Detail, und zwar wie Sie auf intelligente Weise die Lagerbelegung kontinuierlich optimieren und Kommissionierwege minimieren. Das Warehouse Healing Modell basiert auf Data Science und ist in einem chaotischen Lager anwendbar.
1. Einführung in Data Science

Big Data, Data Mining, maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz hängen mit dem Thema Data Science zusammen.

Das Ziel von Data Science ist: Aus Daten Wissen zu generieren, um die zunehmende Komplexität im Logistikumfeld für Menschen besser beherrschbar zu machen.

Die Grundlage sind große Datenmengen (Big Data), wie sie unter anderem durch das Lagerverwaltungssystem vorliegen. Big Data besteht aus den 4 Vs: Volume, Velocity, Variability und Veracity. Es handelt sich um Daten, die in einer großen Menge vorliegen, die schnell zunehmen, die in Hinblick auf den Inhalt, die Quellen und deren Struktur vielfältig und verlässlich sind.

Die Vorgänge des Suchens, Sammelns, Filterns und Analysierens der Daten mit dem Ziel Muster zu erkennen, werden unter Data Mining zusammengefasst. Data Mining kann sowohl für die Beschreibung von Daten als auch für Prognosen genutzt werden.

Maschinelles Lernen (ML) und künstliche Intelligenz (KI) sind Weiterentwicklungen des Data Mining. Dabei gilt ML als Teilgebiet der KI. Der Data Mining Prozess kann durch KI und ML unterstützt werden. Umgekehrt können die durch maschinelles Lernen oder klassisches Data Mining prognostizierten Entwicklungen oder Muster einem KI-Modell als Basis zugrunde gelegt werden. Insgesamt tragen diese Themen ihren Teil zu Data Science bei.

2. Warehouse Healing

Inwieweit Data Science zur Effizienzsteigerung in der Kommissionierung beitragen kann, zeigt unser Warehouse Healing Modell. Der Warehouse Healing Algorithmus ermittelt fortlaufend den im jeweiligen Moment optimalen Lagerplatz für eine wegeoptimierte Kommissionierung.

Die Grundlage bilden Daten, die durch das Lagerverwaltungssystem erhoben werden. Kurz vor jeder neuen Vorschlagsberechnung des Warehouse Healing Algorithmus werden die aktuellen Daten aus dem Lagerverwaltungssystem gezogen. Infos zu Lagerbeständen, Topologie, Bewegungsdaten und Warenkörben werden im Hinblick auf Muster in der Bestellhistorie analysiert. Konkret werden Informationen zum Lagerplatz, Lagerbestand, den Bestandsbewegungen, der Ladeeinheit, dem Sachnummernstamm, der Bewegungsart und dem Kommissionierbereich aus dem Lagerverwaltungssystem übertragen.

Aus diesen Daten wird ermittelt, an welchem Ort sich welche Artikel in welcher Menge befinden und welcher Weg dabei zurückgelegt werden muss. Daraus werden unter Berücksichtigung der Bestellhäufigkeit (bekannt aus der ABC-Analyse), der Entfernung zum Übergabeort sowie der Produktaffinität zwischen den Artikeln (Warenkorbanalyse) Umlagervorschläge generiert. Die Warenkorbanalyse liefert Erkenntnisse, welche Artikel tendenziell zusammengekauft und gemäß der Wegeoptimierung in der Nähe zueinander gelagert werden sollten. Das Ziel ist, eine möglichst kurze Strecke zwischen dem zu entnehmenden Artikel und dem Übergabeort sowie zum Lagerplatz der nächsten Entnahme herzustellen.

Die sich daraus ergebene Lagerstruktur ist auf den Heatmaps der Abbildungen 1 bis 3 exemplarisch dargestellt. Die Sättigung des roten Farbtons entspricht der Pickhäufigkeit des Artikels. Je heller die Farbe, desto weniger häufig wird der Artikel entnommen. Die umrahmten Kästchen stellen die Warenaffinität zum Beispielartikel (mit X gekennzeichnet) dar. Der Übergabeort und somit der Zielort für jeden Kommissionierlauf werden durch „E/A“ gekennzeichnet.

Abbildung 1 ist ein chaotisches Lager mit drei Gassen ohne Einlagerstrategie. Weder die Pickhäufigkeit noch die Warenaffinität werden berücksichtigt. Dadurch ist das Lager stark fragmentiert. Je nachdem welcher Artikel gepickt werden muss, fallen die Kommissionierwege unterschiedlich lang aus. Bis auf die systemseitig generierte Pickreihenfolge basierend auf den Kommissionierrouten werden die Kommissionierwege nicht optimiert.

Abbildung 1: Lagerfragmentierung ohne Strategie


Abbildung 2 zeigt die Lagerstruktur nach der Sortierung entsprechend der ABC-Analyse. Häufig gepickte Artikel befinden sich in unmittelbarer Nähe zum Übergabeplatz und selten entnommene Artikel im hinteren Teil des Lagers. Die Laufwege werden teilweise optimiert. Zueinander affine Artikel befinden sich aber nach wie vor über die gesamte Lagerfläche verteilt, was immer noch einen negativen Einfluss auf die Wegzeiten beim Kommissioniere hat.

Abbildung 2: Lagerfragmentierung nach ABC-Strategie


Abbildung 3 zeigt das Lager gemäß dem Warehouse Healing Ansatz. Wegen der Berücksichtigung von Warenkorbaffinitäten wird die ABC-Zonierung teilweise gestört. Allerdings entsteht dadurch eine größtmögliche Optimierung der Laufwege. Die Auswirkungen der beiden Strategien aus Abbildung 2 und 3 auf die Effizienz werden im Praxisteil deutlich.

Abbildung 3: Lagerfragmentierung nach ABC-Strategie und Warenkorbaffinität


Die Strukturierung des Lagers nach dem Warehouse Healing Konzept soll durch Umlagervorgänge mit wenig (Zeit-)Aufwand erfolgen und dabei einen möglichst großen Effekt haben. Dafür werden die Vorgänge bewertet und priorisiert. Eine Umlagerung stellt einen Tausch zweier eingelagerter Artikel dar. Ein Lagerplatz entspricht einem Punkt auf dem dreidimensionalen Koordinatensystem, das auf den individuellen Lager- bzw. Kommissionierbereich des Kunden ausgelegt ist.
Jeder Lagerplatz wird unter Berücksichtigung des sich darauf lagernden Artikels durch ein mathematisches Modell mit einem sogenannten Score, also einer Bewertung versehen. Durch eine Umlagerung wird bei einem der Artikel der Auslagerweg vergrößert und beim anderen verkürzt. Daher muss die Score-Berechnung individuell auf die Produkte des Kunden sowie auch die Lagerstruktur angepasst werden.

Dem Mitarbeiter werden die Umlageraufträge in einer Tabelle mit absteigender Nützlichkeit beispielsweise auf seinem mobilen Datenerfassungsgerät angezeigt.

Der bestmögliche Umlagerauftrag hat folgende drei Eigenschaften:

  • Die durch die Umlagerung entstehende Differenz des Scores vor bzw. nach dem Healing-Vorgang hat den größten Betrag.
  • Die Distanz zwischen den beiden getauschten Fächern ist am größten.
  • Die Anzahl der in diesem Zuge umzulagernden Artikeleinheiten ist ebenfalls maximal. Umlagervorgänge mit einem geringen Score werden ignoriert.

Bei regelmäßiger und disziplinierter Durchführung der Umlagervorschläge optimiert sich die Lagerbelegung kontinuierlich. Der manuelle Aufwand wird zunehmend geringer oder bleibt auf konstant niedrigem Level.

3. Methodik

Die Untersuchung der Effizienzsteigerung durch das Warehouse Healing Modell erfolgt theoretisch und praktisch.

Theoretischer Ansatz: Das Modell wurde durch unsere Mitarbeiter anhand von reellen Daten aus einem Dreimonatszeitraum eines Pilotkunden simuliert. Eine Simulation umfasst die Abschätzung des zu laufenden Weges bei der Kommissionierung aller eingegangenen Bestellungen. Diese Berechnung wird 300-mal zu unterschiedlicher Anzahl an Healing-Umlagerungen wiederholt und im Verhältnis zur Ausgangssituation (ohne durchgeführte Healing-Umlagerung) dargestellt. Diese Methode bietet die Möglichkeit einer theoretischen Nutzenbewertung. Sie gibt Aufschluss über die Wirkungsweise der Verbindung von Häufigkeits- und Warenaffinitätsanalyse im Vergleich zur üblichen ABC-Sortierung.

Praktische Untersuchung: Das Modell wurde im Rahmen eines Pilotprojekts bei einem Kunden implementiert. Ein Zeitraum von drei Monaten wurde analysiert, bei dem die Mitarbeiter den Healing Prozess acht Mal starteten. Im Durchschnitt wurden pro angestoßenen Prozess neun Healing-Umlagerungen vollzogen.

Die Daten beider Auswertungen beziehen sich auf den in Abbildung 4 dargestellten Kommissionierbereich. Das Kommissionierlager weist eine rechtwinklige »L-Form« auf (rot umrandet). Die Kommissionierung erfolgt im Schlangenlinienmuster durch die Regale. »E/A« ist der Übergabepunkt. Hilfsmittel sind: Smart Devices und ein Kommissionierwagen mit sechs Fächern. Durchschnittlich werden fünf Fächer auf dem Kommissionierwagen genutzt. Die Kommissionierung erfolgt nach dem Multi-Order-Picking-Prinzip.

Abbildung 4: Lagerstruktur Pilotprojekt


4. Praxisteil – der Effekt von Warehouse Healing auf die Effizienz

Die Simulationsergebnisse: Den Effekt auf den Auslagerweg zeigt die Lagersortierung durch die reine ABC-Sortierung (rote Kurve ohne Warenkorbanalyse) und die des Warehouse Healings (grüne Kurve mit Warenkorbanalyse). Die 100 % der Y-Achse sind der Zustand des Lagers ohne Strategie.

Zur Verdeutlichung lassen sich die Kurven mit den Heatmaps aus Punkt 2 Warehouse Healing verknüpfen. Die 100 % entsprechen exemplarisch dem Lagerzustand aus Abbildung 1, die rote Kurve dem Lagerzustand aus Abbildung 2 und die grüne Kurve dem Lagerzustand aus Abbildung 3.

Die y-Achse zeigt die prozentuale Verkürzung des Auslagerwegs in Abbildung 5 und die dadurch erzielte Effizienzsteigerung. Die x-Achse enthält die Anzahl an durchgeführten Healing Umlagerungen.

Abbildung 5: Effekt auf den Auslagerweg


Bei 10 Umlagerungen ist der Effekt mit und ohne Warenkorbanalyse noch identisch. Beide Strategien erreichen eine durchschnittliche Verkürzung des Auslagerwegs von 10 %.

Nach 38 Umlagerungen erreicht das Warehouse-Healing-Modell eine Verkürzung des Auslagerwegs von 15 %, was im Verlauf der roten Kurve erst nach 90 Umlagerungen erreicht wird.

Nach 90 Umlagerungen erreicht das Warehouse-Healing eine Reduktion des Auslagerwegs von 20 %, was die klassische ABC-Sortierung nicht erreicht.

Die rote Kurve zeigt auf lange Sicht 83 %. Durch die reine ABC-Sortierung ist nach dieser Simulation eine maximale Reduktion der Laufwege von 17 % zu erwarten. Die grüne Kurve zeigt auf lange Sicht 76 %. Durch die Berücksichtigung der Warenaffinität neben der Pickhäufigkeit lässt sich eine Reduktion der Laufwege von 24 % bis 25 % erreichen.

Bei der ABC-Sortierung sind 60 bis 70 Umlagerungen sinnvoll, danach nimmt der Effekt ab. Beim Warehouse-Healing-Modell tritt dieser Effekt erst nach ungefähr 100 Umlagerungen ein. Der asymptotische Kurvenverlauf ist der Priorisierung der Umlagervorschläge zu verdanken.

5. Ergebnisse des Pilotprojekts

Abbildung 6 zeigt den Effekt der durchgeführten Umlagerungen im oben dargestellten Lager nach dem gleichen Schema wie in Abbildung 5.

In den 3 Monaten wurden acht Umlagervorgänge vorgenommen. Die Grafik zeigt, dass die Mitarbeiter nicht immer die besten Umlagervorschläge wählten.

Dieser Effekt ist vor allem beim lila dargestellten Umlagervorgang zu beobachten. Es wurden sechs Healing-Umlagerungen durchgeführt, die allerdings keinerlei Auswirkungen auf den Auslagerweg hatten. Bei der grünen und orangenen Kurve haben die Healing-Umlagerungen erfolgreich zu einer Verkürzung des Auslagerwegs beigetragen. In beiden Umlagervorgängen konnte mit jeweils sechs bzw. sieben Umlagerungen eine Reduktion des Auslagerwegs von 5 % erreicht werden.

Abbildung 6: Relative Auswirkung auf den Auslagerweg

6. Interpretation der Ergebnisse

Die Simulation beweist, dass die Implementierung des Warehouse Healings die Auslagerwege um 20 bis 25 % reduzieren kann.

Auch im Pilotprojekt wurde (trotz der weniger idealen Umsetzung) in Summe über alle getätigten Umlagerungen eine Reduktion der Auslagerwege von knapp 19 % erzielt. Der Nutzen ist bei regelmäßiger, konsequenter und korrekter Durchführung am größten. Die Steigung der Kurvenverläufe beweisen, dass die ersten Umlagerungen den größten Effekt haben. Sie bilden den Grundstein für eine effiziente Lagerstruktur.

Beträgt die Wegzeit 55 % der gesamten Kommissionierzeit, so bedeutet eine Reduktion der Wegzeit von 20 % eine Effizienzsteigerung von 11 % der gesamten Kommissionierzeit.

7. Exkurs

Um die Effizienzsteigerung in der Kommissionierung noch weiter zu erhöhen, könnte das Warehouse Healing ganzheitlich eingesetzt werden. Der Healing Algorithmus könnte bereits bei der Lagerplatzfindung von Wareneinlagerungen genutzt werden. Umlagerungen ließen sich dadurch zwar nicht komplett vermeiden, da der ideale Lagerplatz zum Zeitpunkt der Einlagerung vermutlich besetzt wäre, dennoch könnte der nächstbeste Lagerplatz gewählt werden. So werden vor der Healing-Umlagerung bereits kurze Laufwege gewährleistet.

8. Bedeutung der Software

Die Software spielt im Warehouse Healing die Hauptrolle. Sie bildet die Intelligenz des gesamten Konzepts ab. Nach der Implementierung lernt und operiert sie selbstorganisiert. Allerdings braucht es für die Integration des Warehouse-Healing Algorithmus eine Lagerverwaltungssoftware, um die gewonnen Daten daraus zu nutzen. Durch Data Science ist die Software in der Lage, unterschiedlichste Daten miteinander zu verknüpfen.

Die Software hinter dem Warehouse Healing transformiert binnen weniger Sekunden eine Menge an Erfahrungsdaten zu einer einfachen Arbeitsanweisung. Die anwendungsfallorientierte Aufbereitung und Auswertung der Daten zur Erstellung einfacher und klarer Informationen ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Nutzung.

Das Warehouse Healing Beispiel zeigt, wie viele Potenziale durch Software und einer guten Datenbasis entdeckt und genutzt werden können.

Hinweise: Die Herkunft der Daten und Informationen zur Untersuchung der Anwendungsfälle sind zum Teil theoretisch und zum Teil aus der Praxis. Die Untersuchungen beziehen sich auch auf unterschiedliche Anwendungsfälle mit verschiedenen Methodiken. Dadurch sind die Ergebnisse nicht exakt miteinander vergleichbar und ebenso nicht allgemeingültig.

Außerdem hängt die Effizienz in der Kommissionierung von vielen Faktoren ab. Beispielsweise von den Prozesseigenschaften, der Lagertopologie, der Auftragsstruktur und dem Zusammenspiel der Technologien. Entsprechend variabel ist die Effizienz je nach Anwendungsfall.

Dennoch ist die für diese Arbeit gewählte Vorgehensweise immer noch die beste zur Beantwortung der Leitfrage. Denn die jeweiligen Effizienzen der Kommissionierung lassen sich analysieren und unter Berücksichtigung der Unterschiede miteinander in Verbindung setzen. Damit sind die gewonnenen Erkenntnisse bei Berücksichtigung des zugrunde liegenden Gesamtkonzepts vollständig, valide und plausibel.

Blogbeitrag mit den Gesamtergebnissen im Überblick: Erstaunliche Ergebnisse bei der Effizienzsteigerung durch Smart Devices, Automatisierung und Data Science.

Blogbeitrag mit den Smart Devices Ergebnissen im Detail: Effizienzsteigerung mit Smart Devices in der Kommissionierung um 23 %.

Blogbeitrag mit den Automatisierungsergebnissen im Detail: Automatisierung erhöht Effizienz um 97 % (teilautomatisiert) bzw. um 140 % (vollautomatisiert) in der Kommissionierung.

Blogbeitrag: Ausblick auf künftige Entwicklungen: Effizienzsteigerungen in der Intralogistik.

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Redaktion